Das Auswandererkochbuch
Ein Erstlingswerk ist immer etwas Besonderes. Großartig ist es, wenn ein Buch dann nicht nur erscheint und man selbst es "genial" findet, sondern wenn es auch in den Rezensionen und Bewertungen für einen wichtiger Medien und Menschen als lesenswert, schön zu betrachten und etwas "Besonderes" bezeichnet wird.
Besonders die Recherchen nach den Originalrezepten der Dampfschiffe und die Fotografien, die in der Reihe der Historischen Kochbücher aus dem Verlag Felix-AG, gemeinsam mit dem Verlag Neumann-Neudamm, einen sehr wichtigen Platz einnehmen und zur Beliebtheit der Bücher beitragen, haben Zeit benötigt, machen diese Serie historischer Kochbücher meiner Ansicht nach aber auch zu etwas Besonderem.
Entsprechend begeistert war ich, als ich "meine Exemplare" in Händen hatte, schlichtweg sprachlos darüber, wie sehr mir diese Seiten gefielen. Ob das wie beim eigenen Kind ist, das man immer schön findet?
2011 wurde das Auswandererkochbuch als bestes deutsches Kochbuch zur Gourmand nach Paris geschickt. Auf der Gourmand werden jedes Jahr die besten Kochbücher in verschiedenen Kategorien geehrt.
Das Auswandererkochbuch nahm als Sieger für Deutschland in der Kategorie teil:
"Best Foreign Cuisine Book"
Als eine kleine Kostprobe - und natürlich um neugierig auf "Mehr" zu machen. Und sollte man gar nicht widerstehen können ... man kann das Buch beim Verlag oder mir bestellen :-)
Ein paar Appetithäppchen:
Aus der Einleitung
Friedrich Gerstäcker, Schriftsteller und Amerikareisender, schrieb (wohlgemerkt 1873, zu einer Zeit als die schlimmsten Auswüchse bereits beseitigt waren) in einem Brieftagebuch:
Einen Raum von ungefähr 11 Schritt Länge 9 Schritt Breite, 8 Fuß hoch, an beiden Seiten mit den Schlafstellen oder Coyen versehn, von denen immer 2 von Brettern genagelt übereinander sind, ungefähr in der Art wo in jeder Coye 10 Mann liegen, 5 oben und 5 unten. (…) Denke Dir nun in diesem Raum bei schlechter Witterung 100 und ungefähr 10 bis 15 Auswanderer eingeschlossen, denke Dir ihre Ausdünstung, das Lachen Toben, Uebergeben, Lamentiren, Kinderschreien!
Friedrich Gerstäcker: Reise von Leipzig nach New York, 1837
Knapp 6 Millionen Deutsche verließen im 18. – 20. Jahrhundert ihre Heimat, ließen alles hinter sich und machten sich auf den Weg in die „Neue Welt“ – auf der Suche nach wirtschaftlicher, politischer oder religiöser Freiheit, nach neuen Chancen und Möglichkeiten. Die erste große Welle der deutschen. Auswanderung hatte von 1846 bis 1857 zirka 1,1 Millionen Menschen erfasst.
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Menschen, die es in die Neue Welt zog, auf Segelschiffe angewiesen. In der Regel handelte es sich dabei um Schoner oder Dreimaster, die für den Handelsverkehr geplant und gebaut worden waren. Entsprechend ungeeignet waren sie für den Transport von (großen Mengen) an Passagieren. So kam es zum so genannten „Zwischendeck“.
Aus der Zeit der Segelschiffe gehen in aller Regel keine Rezepte hervor, jedoch waren die Zutaten in ihrer Begrenztheit klar umrissen, hatten sie sich doch an den drei wesentlichen Problemen zu orientieren:
Zubereitungsmöglichkeiten (z.B. Kochmöglichkeiten auf Segelschiffen), Haltbarkeit von Lebensmitteln und praktische Erwägungen wie Transport (Lagerhaltung) sowie der Frage der Ausgewogenheit der Ernährung (z.B. Skorbut).
Teilweise sind Berichte der Auswanderer voll von unerträglichen Zuständen an Bord, inklusive ungenießbaren Essens.
Ein Schiff erreicht den Hafen
Die Reise auf diesen Schiffen dauerte – je nach Abfahrthafen – zwischen 40 und 60 Tagen. Je nach Vorkommnissen (Flaute, Stürme) auch länger, bis zu 100 Tagen war gerade in der Anfangszeit keine Seltenheit.
Mit der stetig steigenden Zahl an Menschen, die über die Häfen Le Havre, Rotterdam, Bremen oder Hamburg Europa verließen, wurde auch auf Seiten der Obrigkeit immer klarer, dass man Regelungen brauchte. Gesetze wurden erlassen, die sowohl die Unterbringung als auch die Verpflegung der Passagiere auf ein erträgliches Maß zu heben versuchte. In diesem Zusammenhang sind aus Briefen oder Speisepläne für die Reise auf Segelschiffen sowie auf Dampfschiffen erhalten geblieben.
Dennoch war Auswanderung auch an Bord der Dampfschiffe alles andere als eine Vergnügungsreise – zumindest für das Gros der Passagiere, die noch immer im Zwischendeck reisten.
(...)
Innenansicht des Buches
Eine von Jens Christoph ausnehmend ansprechend gestaltete Seite:
Wie es zu dem Buch kam
Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit der Geschichte - und den Geschichten - der verschiedenen Famiilien, die meine Vorfahren ausmachen. Eine ganze Reihe von diesen und angrenzenden Familien entschlossen sich zur Auswanderung, darunter auch die Familie Nack, um die es in der Auswanderergeschichte der Nacks geht. Nicht weniger interessant ist die Geschichte der Familie Dobravolsky, auch wenn sie in einigen Bereichen völlig anders verlaufen ist.
Auf der Buchmesse 2008 stieß ich dann auf die historischen Kochbücher des Felix-Verlages, die in ihrer Gestaltung so interessant und "anders" aufgemacht waren. Ich kam in Kontakt mit der Verlagschefin, einer übrigens sehr interessanten Frau :-), und während einiger Telefonate des Nächtens entstand die Idee, jenseits der Reiseberichte und teilweise wirklich grausigen Erlebnissen auf den Schiffen nach jenen Zutaten und Gerichten zu suchen, mit denen sich die Auswanderer "über Wasser" hielten.
Entsprechend griff ich bei der Rezeptauswahl auf einfache Gerichte zurück, die mit den damals bekannten Zutaten und einer begrenzten Möglichkeit an Töpfen, Pfannen und Schüsseln zubereitet werden können und trotz – oder gerade wegen – dieser Einfachheit spannend und interessant erschienen.
Eine Orientierung von nur sehr eingeschränkter Aussagekraft waren hierbei die in dieser Zeit wachsende Zahl von Kochbüchern, zum Beispiel Sophie Wilhelmine Scheiblers „Allgemeines deutsches Kochbuch für alle Stände, oder gründliche Anweisung alle Arten Speisen und Backwerke auf die Wohlfeilste und schmackhafteste Art zuzubereiten: Ein unentbehrliches Handbuch für angehende Hausmütter, Haushälterinnen und Köchinnen“, das 1866 bereits in der 17. Auflage erschien. Zielgruppe dieser Bücher war in aller Regel die wohlhabende Bürgerschicht, deren kulinarische Möglichkeiten sich deutlich von denen der großen Menge an Arbeitern und Bauern unterschieden. In der Üppigkeit und Feinheit sind diese Gerichte heute teilweise gar nicht mehr denkbar. Allerdings bieten sie einen guten Einblick in die Verfügbarkeit oder Beliebtheit von bestimmten Nahrungsmitteln oder Zubereitungsweisen, über die man teilweise erstaunt sein wird.
Daneben wählte ich Zutaten, die vom „Arme-Leute-Essen“ zu Delikatessen geworden sind (zum Beispiel Maronen - das "Getreide des armen Mannes"), oder aber mehr oder weniger in Vergessenheit geraten sind (zum Beispiel Mairübchen) - und inzwischen schon wieder als "Trendzutaten" gelten. Schauen Sie sich bei Interesse mal dieses Buch an: "Arme Leute Essen - heute Delikatessen", ebenfalls von Neumann-Neudamm.
Ein Beispiel für das Bemühen vieler Auswanderer, ihrer Heimat nah zu bleiben, einen Teil ihrer Identität zu bewahren oder auch einfach der Sehnsucht nach gewohntem Geschmack ist das Rezept für die "Süddeutsche Kartoffelsuppe". Das Rezept stammt aus einem deutschsprachigen Kochbuch, das in den USA herausgegeben wurde.
Der Inhalt im Überblick
Das Ergebnis der historischen, sozialen und genealogischen Recherchen ist dieses Buch. Es beinhaltet neben Rezepten wirklich gelungene, stimmungsvolle Fotografien sowie historische Fakten, Hintergründe, Geschichten und Auszüge aus der Zeit der Auswanderung mit Segelschiff und Dampfschiff:
- Endlose Wochen auf See
- Speisepläne deutscher Schiffe
- Kochen auf Segelschiffen
- Vom Land aufs Meer - Wie die Auswanderer auf die Schiffe kamen
- Auswanderergeschichte(n)
- Vorratshaltung auf Schiffen
- Die (deutschen) Auswanderungshäfen
- Auswanderung unter Dampf
Sowie folgende Rezepte / Rezeptkategorien:
- Grundrezepte - Haltbarmachung von Lebensmitteln
- Grütze
- Andre Länder, andre Küche - englische Schiffe
- Fisch
- kuriose und spezielle "Schiffsrezepte" (z.B. Matrosenpudding, Schiffszwieback, Tricks um faules Wasser zu reinigen, was tun gegen Skorbut)
- Rezepte aus original Menükarten von Dampfschiffen (z.B. Potage a la cardinale, Marlborough Pudding Pie)
Ein "todsicheres" Rezept,
seit Jahren einer meiner "Lieblinge":
Scottish Shortbread
Zutaten: 250g gesiebtes Weizenmehl, 120g Zucker, 250g Butter, 120g feines Reismehl
Zubereitung: Das Mehl und den Zucker miteinander vermischen, die Butter kleinschneiden, hineingeben und unterarbeiten. Kneten, bis der Teig die Konsistenz von Mürbeteig hat. Den Teig auf eine mit Reismehl bestäubte Arbeitsplatte geben und kneten, bis der Teig weich ist.
Shortbread kann man auf zwei Arten formen: Entweder macht man “Petticoat-Tails” oder Shortbread-Fingers.
Petticoat-Tails: Den Teig in acht Teile teilen. Jedes Teil auf dem mit Backpapier belegten Backblech zu einer Scheibe mit etwa 1cm Höhe formen.
Shortbread Fingers: Den Teig direkt auf dem mit Backpapier belegten Backblech zu einem Viereck mit etwa 1 cm Höhe formen. Im vorgeheizten Backofen bei 175° backen.
Wenn der Teig beginnt Farbe zu bekommen (etwa 20-30 min), Hitze herunterdrehen und warten, bis das Shortbread hellgolden ist. Aus dem Ofen nehmen und gleich schneiden.
Petticoat-Tails: Mit einem scharfen Küchenmesser mit 4 Schnitten in einzelne “Kuchenstück-Segmente” schneiden.
Shortbread Fingers: In Stücke von etwa 3x6 cm schneiden.
Auf dem Blech auskühlen lassen. In luftdichte Dosen verpacken.
Eine Widmung
Das Buch widme ich Patricia Reiser, geborene Becker (+ 23.07.2008) – geschätzte „distant relative“, „fellow researcher“ und gute Freundin. Ein ganzer Teil meines Interesses am Thema Auswanderung fand seinen Ursprung nicht zuletzt im Kontakt zu ihr, der über lange Jahre bestand, bevor wir uns 2006 endlich persönlich kennenlernten, sowie in ihren Forschungsergebnissen zu jenen Teilen der Familie(n) Becker, die um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert in die USA ausgewandert sind.
Ebenso bedanke ich mich bei meinen Kochfreunden, die sich von mir mit stundenlangen Vorträgen über mögliche Rezepte und Ideen quälen ließen, und mir hilfreiche Rückmeldungen gaben.
Besonderer Dank gilt allen Forschern und Wissenschaftlern, die vor mir waren und seit Jahren und Jahrzehnten dafür sorgen, dass die Geschichte(n) der „kleinen Leute“ lebendig bleiben und werden.